GERÄUSCHÜBEREMPFINDLICHKEIT – WENN LAUTE ZUR QUAL WERDEN

Einige Menschen leiden aus den verschiedensten Gründen unter einer erhöhten Geräuschsensibilität. In diesem Blogartikel kläre ich über diese Ursachen auf, denn mir ist es wichtig, dass den davon Betroffenen mehr Verständnis entgegengebracht wird.
Außerdem gebe ich ein paar Tipps zum Umgang mit erhöhter Geräuschsensibilität. Da ich selbst dieses Problem aus eigener Erfahrung kenne, weiß ich inzwischen recht gut, was hierbei hilfreich sein kann.

 

 

MISOPHONIE – DER HASS AUF GERÄUSCHE

Die Formulierung „Hass auf Geräusche“ (aus dem Griechischen misos ‚Hass‘ und phoné ‚Geräusch‘) trifft nicht wirklich den Kern der neurologischen Störung Misophonie. Vielmehr reagieren Misophoniker mit Aggressionen, Wut und Angst bis hin zur Panik auf bestimmte Alltagsgeräusche.
Vor allem Geräusche wie z. B. Schmatzen, Schlucken, Kauen oder auch Atmen sind für Misophoniker unerträglich und erzeugen bei ihnen extremen Stress. Sie weisen eine verminderte Geräuschtoleranz gegenüber bestimmten Geräuschen auf und fühlen sich durch diese regelrecht gefoltert. Denn sie fühlen sich dadurch extrem unwohl, sind unkonzentriert und leiden häufig sogar unter Schmerzen.
Es handelt sich bei Misophonie ausdrücklich nicht um Einbildung, das Problem ist real. Mittels EEG und MRT können die Reaktionen auf die auslösenden Geräusche bei Misophonikern aufgezeigt werden. Der Puls steigt, der Atem wird flacher und es kommt zu Schweißausbrüchen.

Da die Misophonie bisher nicht als Krankheit definiert wird und sich nur wenige Forschungsinstitute mit diesem Thema beschäftigen, gibt es noch keine speziellen Therapien.
Die meisten Betroffenen versuchen sich vor den extrem unangenehmen Gefühlen zu schützen, indem sie die Trigger – also die auslösenden Geräusche – vermeiden oder abschwächen. Z. B. werden gemeinsame Mahlzeiten gemieden, man übertönt die Störgeräusche mit Musik oder nutzt einen Gehörschutz.
Du kannst dir also sicher gut vorstellen, wie belastend Misophonie für Betroffene und ihr Umfeld sein kann, wenn bestimmte Aktivitäten nicht oder kaum möglich sind und extrem viel Kraft erforderlich ist, um die Symptome zu ertragen. Misophoniker können selbst gar nichts für ihr Problem, können es nicht einfach „abstellen“.

 

Eine erhöhte Geräuschsensibilität lässt sich nicht einfach abstellen. Es ist ein reales und meist sehr belastendes Problem für die Betroffenen, die dagegen oft nur wenig tun können.

 

HYPERAKUSIS – ALLES IST ZU LAUT!

Bei Hyperakusis ist die Verarbeitung von Schallsignalen in den Hörbahnen gestört. Das Gehirn kann wichtige Geräusche nicht von unwichtigen unterscheiden und sie somit nicht mehr filtern. Dadurch empfinden Betroffene auch leise Geräusche als unangenehm laut, sie werden regelrecht zur Qual. Daher auch die Bezeichnung Hyperakusis, die aus dem Griechischen stammt; hyper bedeutet ‚über‘ und akuo ‚ich höre‘.
In Untersuchungen fand man heraus, dass bereits Töne mit einer Lautstärke von 50 oder 60 dB bei Hyperakusis nicht mehr toleriert werden. Diese führen dann zum Erschrecken, zu Aggressionen, Ängstlichkeit und Nervosität. Ebenso leiden von Hyperakusis Betroffene unter Symptomen wie Schmerzen in den Ohren und im Kopfbereich (durch Verspannung beim Einziehen des Kopfes), Bluthochdruck, trockenem Mund, Herzrasen und Schweißausbrüchen.

Zudem hat Hyperakusis – so wie jede andauernde Geräuschüberempfindlichkeit – auch soziale und psychische Folgen. Man vermeidet Situationen, die als zu laut empfunden werden und reduziert soziale Aktivitäten. Oft wird auch ein Gehörschutz genutzt. Dieses Krankheitsbild kann außerdem zu Konzentrations- und Schlafstörungen sowie zu Ängsten und Depressionen führen.

Es gibt einige mögliche Ursachen von Hyperakusis. Migräne führt vorübergehend zu ihr, andere neurologische Erkrankungen wie z. B. Epilepsie oder Multiple Sklerose können sie begünstigen. Auch durch Stress, Tinnitus oder einen Hörsturz kann sie ausgelöst werden, ebenso durch bestimmte Wirkstoffe in Medikamenten oder durch psychische Erkrankungen.

Therapiert wird diese Erkrankung durch HNO-Ärzte und Neurologen, die zuerst die Ursachen abklären. Außerdem wird mit Desensibilisierung gearbeitet, indem ein Noiser eingesetzt wird. Das ist ein Gerät, das an ein Hörgerät erinnert und regulierbare Geräusche produziert. So soll im Laufe der Zeit die Geräuschsensibilität abnehmen.

 

Auch bei Migräne besteht eine erhöhte Geräuschempfindlichkeit. Geräusche verstärken die Schmerzen extrem, weshalb Betroffene sich dann in einen ruhigen Raum zurückziehen müssen.

 

PHONOPHOBIE – DIE ANGST VOR GERÄUSCHEN

Der Begriff Phonophobie stammt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus phoné für ‚Geräusch‘ und phóbos für ‚Flucht‘, ‚Furcht‘, ‚Schrecken‘.
Wer von dieser Angststörung betroffen ist, reagiert auf bestimmte Geräusche mit Abneigung und fürchtet sie. Es handelt sich bei der Phonophobie um eine konditionierte Angstreaktion. Sie entsteht durch eine Reaktion auf ein Geräusch, das man mit einer negativen Erfahrung verbindet. Mit der Zeit sinkt zunehmend die Toleranzgrenze gegenüber diesem Geräusch. Dessen Lautstärke spielt nur eine untergeordnete Rolle; entscheidend ist vielmehr, wie störend es vom Betroffenen wahrgenommen wird.

Menschen mit Phonophobie reagieren mit Vermeidungsverhalten und Fluchtreaktionen auf diese Geräusche. Körperliche Symptome sind der Anstieg des Pulses und des Blutdrucks, ebenso kommt es zu Angstschweiß, Muskelanspannung und Schwindelgefühlen. Auch starke Stimmungsschwankungen sind mit im Spiel und die Angst kann so heftig sein, dass es zu Panikattacken kommt.

Zur Behandlung der Phonophobie werden ggf. auch Medikamente eingesetzt. Im Vordergrund aber steht, die (erlernte) Angst vor den jeweiligen Geräuschen nach und nach zu überwinden. Im Rahmen einer kognitiven Verhaltenstherapie lernen die Betroffenen, ihr eigenes Verhalten zu verstehen und können so ihre Verhaltensmuster durchbrechen. Auch eine – natürlich sehr behutsame – Konfrontationstherapie kann hilfreich sein.

 

GERÄUSCHEMPFINDLICHKEIT DURCH HOCHSENSIBILITÄT ODER AUTISMUS

Selbstverständlich reagieren auch hochsensible Menschen, die nicht unter den zuvor genannten Erkrankungen leiden, oft sehr stark auf Geräusche.

Hochsensible Personen nehmen aufgrund von neurologischen Besonderheiten Reize stärker wahr und verarbeiten sie tiefer als Menschen, die nicht hypersensibel sind. Es handelt sich hierbei nicht um eine Krankheit, sondern um ein Persönlichkeitsmerkmal. Man schätzt, dass davon ca. 20-30 % der Menschen betroffen sind.

Aufgrund dessen, dass ihr Gehirn Reize nicht gut filtern kann, sind Hochsensible extrem reizoffen – und dadurch relativ schnell durch Sinneseindrücke überreizt. Dies ist insbesondere bei Geräuschen der Fall, sodass Hochsensible meist auch wesentlich weniger Lärm und akustische Unruhe ertragen als durchschnittlich sensible Menschen.

Auch Autisten sind oft hypersensibel (oder auch in bestimmten Bereichen hyposensibel). Sie sind somit ebenso häufig sensorisch überempfindlich, was sich auch in einer starken Geräuschsensibilität äußern kann.

 

Auch neurodivergente Menschen wie z. B. ADHSler und Autisten sind häufig sehr geräuschempfindlich und bevorzugen daher ruhige Umgebungen.

 

GERÄUSCHSENSIBILITÄT UND DIE PSYCHE

Es gibt Wechselwirkungen zwischen Geräuschüberempfindlichkeit und der Psyche. Einerseits hat Lärm erwiesenermaßen einen schlechten Einfluss auf unsere psychische Gesundheit. Andererseits ist die erhöhte Geräuschsensibilität auch ein Symptom bei einigen psychischen Erkrankungen.

Bekannt ist seit langem, dass Lärm unsere Gesundheit stark beeinträchtigen kann. Er erzeugt Stress, lässt uns schneller erschöpfen und schädigt unser Herz-Kreislauf-System. Da jeder unterschiedlich sensibel auf Geräusche reagiert und einige Menschen schon – für viele noch angenehme – Alltagsgeräusche als Lärm empfinden, gilt es, diese individuellen Toleranzgrenzen zu berücksichtigen. Setzt man sich zu vielen oder zu lauten akustischen Reizen aus, als man gut aushalten kann, führt dies zwangsläufig zu Stress. Doch nicht nur das: Eine Studie ergab, dass steigende Lärmbelästigung zu Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen führt. Diese sind dann doppelt so häufig vertreten wie bei geringerer Lärmbelastung.

Natürlich kann Lärm bzw. eine zu unruhige Umgebung auch bereits vorhandene psychische Erkrankungen verschlimmern. Ebenso ist eine erhöhte Geräuschempfindlichkeit ein mögliches Symptom von Krankheiten wie Depressionen und Angststörungen. Doch Ängste und Depressionen können auch durch eine Hyperakusis ausgelöst werden. In manchen Fällen kann eine Geräuschübersensibilität auch ein frühes Anzeichen einer psychotischen Erkrankung sein.

 

Auch die Psyche leidet mit, wenn man als Geräuschsensibler zu vielen Lauten oder gar Lärm ausgesetzt ist.

 

TIPPS BEI GERÄUSCHEMPFINDLICHKEIT

Die passende Umgebung schaffen – beruflich und privat

Wer wenig Geräusche tolerieren kann, sollte natürlich nicht in einer lauten Umgebung arbeiten oder in einer zu wenig ruhigen Wohnung leben.

Auch sollte das Zusammenleben mit anderen so gestaltet werden, dass man genug Ruhe und Rückzugsräume hat. Nicht für jeden kommt ein gemeinsames Schlafzimmer mit dem Partner infrage und nicht jedem ist eine gemeinsame Wohnung ruhig genug. Das ist in Ordnung, man sollte zu seinen individuellen Bedürfnissen offen stehen. Denn achtet man sie nicht, macht das nun mal auf Dauer krank und unglücklich.

Dasselbe gilt natürlich auch für die Freizeitgestaltung. Ist es einem unangenehm und zu reizüberflutend, sich mit mehreren Freunden zugleich zu treffen oder gar Großveranstaltungen zu besuchen, sollte man sich nicht (zu oft oder zu lange) dazu zwingen. Außerdem ist es hilfreich, nach so viel „Action“ genug Erholungszeit einzuplanen, um zu regenerieren.

Seine Grundbedürfnisse achten

Vielleicht klingt das etwas unpassend in diesem Kontext. Aber ich selbst als hochsensible und reizoffene Person habe festgestellt, dass auch hiervon abhängig ist, wie geräuschempfindlich ich bin.

Habe ich zu wenig oder schlecht geschlafen oder eine Weile nicht auf regelmäßige und ausgewogene Mahlzeiten geachtet, kann ich weniger Geräusche und Unruhe tolerieren, als wenn ich das tue.

Gehörschutz und Co.

Komplett vor Geräuschen abschotten kann und sollte man sich nicht, auch weil dadurch die Toleranzgrenze des Erträglichen mit der Zeit weiter sinkt. Doch natürlich sollte man sich als geräuschempfindlicher Mensch vor zu vielen akustischen Reizen oder gar Lärm ggf. schützen können.

Es gibt dazu eine Vielzahl von Hilfsmitteln. Angefangen von einfachen Ohrenstöpseln aus verschiedenen Materialien über einen angepassten Gehörschutz vom Akustiker oder sogenannte Noise-Cancelling-Kopfhörer. Es kann natürlich auch hilfreich sein, Musik über Kopfhörer zu hören, um die störenden Geräusche auszublenden bzw. zu übertönen. Ich gehe beispielsweise nie ohne Musik auf den Ohren einkaufen.

 

EIN KLEINER APPELL

Bitte habe Verständnis dafür, dass Menschen mit Geräuschüberempfindlichkeit unter Dingen leiden, die du vielleicht nicht einmal wahrnimmst – und sie darum evtl. ihr Leben völlig anders gestalten (müssen), als du es gewohnt bist. Denn es handelt sich hierbei um ein ernstes und sehr belastendes Problem.

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